Überall Müll, Gestank, Lärm, Menschenmassen, chaotisches Autofahren und schrecklich hohe Temperaturen – Delhi hat mich zugegebenermaßen ziemlich überwältigt, als ich im Frühjahr nach Ankunft am Flughafen in die Megastadt eingetaucht bin. Richtiggehend schockiert war ich davon, wie unzureichend die Wasserversorgung und Müllentsorgung in einer so großen Stadt sein kann.
Für Müll beispielsweise gibt es keine Vorkehrungen, kein System. Jeder wirft ihn irgendwo hin – an die nächste Straßenecke, auf ein freies Grundstück oder einfach zwischen die Gebäude. Verantwortungsvolle Inder verbrennen immerhin ihren Müll. Doch das führt dazu, dass ein beißender Qualm und Gestank über der ganzen Stadt liegt.
Indien ist absolut faszinierend
… wäre aber nicht unser favorisiertes Urlaubsziel gewesen. Nachdem unsere Tochter dort ein Auslandsjahr mit Bibelschule und Praktikum in einer sozialdiakonischen Einrichtung gemacht hat, war es für meine Frau und mich klar, dass wir sie dort besuchen würden (sofern sie das will). Im März war es dann soweit. Besonders beeindruckt hat uns, wie so viele verschiedene Kulturen nebeneinander leben und die extreme Religiosität. Erstaunlich, wie religiös Menschen sein können und dabei trotzdem nur für sich leben. Es schien, als würden sie weder Verantwortung für die Menschen außerhalb ihrer Familie oder Kaste noch für die Gesellschaft übernehmen.
Menschen liegen auf der Straße zwischen Müllsäcken
Das Spannungsfeld zwischen Arm und Reich war extrem. Menschen kampierten am Straßenrand oder schliefen auf dem Mittelstreifen einer zehnspurigen Straße. Keiner kümmerte sich um sie. Genauso wenig wie um die streunenden Hunde, die überall herum liefen. Zugegeben: Wir standen etwas unter (Kultur-)Schock. In Indien hat man sich aber wohl an solche Zustände gewöhnt.
Weil vieles durch das Kastenwesen noch immer als gegeben gilt, sind viele Menschen mehr damit beschäftigt, ihr eigenes Karma zu verbessern. Ich hatte den Eindruck, dass sich Fatalismus breit gemacht hat, der im Wesentlichen vom Hinduismus geprägt ist. Dadurch werden viele in unseren Augen notwendigen Veränderungen nicht als Priorität angesehen. Erschwerend hinzu kommt die problematische indische Politik, die mir von Einheimischen bestätigt wurde.
Auch unsere Mägen wollten sich nicht an Indien gewöhnen
Nachdem wir zwei Tage in Delhi verbracht hatten, reisten wir nach Norden weiter an den Fuß des Himalaya. Unsere Tochter hatte in einer Kleinstadt in den Bergen auf 2000 Meter Höhe eine kleine Wohnung bezogen. Unweit der tibetischen Exilregierung, wo der Dalai Lama residiert, genossen wir die schöne Natur und den Blick auf die Berge. Nun tauchten wir ein in die Kultur der eher ländlichen Bevölkerung. Wir hatten das Glück, dass uns eine indische Familie, die Kontakt zu unserer Tochter hatte, zum Abendessen einlud.
Da saßen wir nun auf dem nackten Betonboden im Haus dieser Familie aus der Mittelschicht. Inmitten des Bodens war eine Feuerstelle eingelassen, auf der gekocht wurde. Mit bloßen Händen aßen wir das scharfe, indische Essen. Es war köstlich! Unsere Mägen allerdings wollten das partout nicht einsehen und es so schnell wie möglich wieder loswerden.
Wie für einige Zeit weggebeamt in eine völlig surreale Welt
Die Zeit in Indien kam uns vor, als wären wir in einem Film gewesen. Die Rückkehr nach Deutschland nach nur zwei Wochen empfanden wir als sehr entspannend. Wir wurden wieder ganz neu dankbar für unsere christlich-westlichen Errungenschaften, unsere Kultur und das Gemeinwesen, das sich über die Jahrhunderte hier entwickelt hat. Nun nahmen wir diese andere Prägung, diesen anderen Geist und diese anderen Werte wieder ganz bewusst wahr. Saubere Luft, Hygiene, Ordnung und Ruhe, die man in Deutschland haben kann, selbst die planvolle Fahrt vom Flughafen nach Hause, waren für uns nun nicht mehr selbstverständlich.
Unsere Tochter allerdings kam mit den Gegebenheiten in Indien gut zurecht, weil sie die Menschen lieben gelernt und viele wundervolle Einheimische kennen gelernt hat. Auch hatte sie vor ihrer Reise lange genug Zeit, um sich mit Land und Leuten zu beschäftigen. Bestimmt kann sie den folgenden Ausspruch unseres indischen Taxifahrers voll und ganz bestätigen: „This is my incredible India!“