Eine meiner eindrücklichsten Lektionen der letzten Jahre war wohl diese: Wenn sich eine Gemeinde ohne Berührungsängste in der Gesellschaft bewegt, sich als Teil von ihr versteht und sinnvolle Projekte anbietet, dann baut das nebenbei wichtige Beziehungen. Meiner Meinung nach sollten wir Christen noch mehr über den Tellerrand schauen und uns auch auf ungewöhnliche Partnerschaften, Kooperationen und Synergien einlassen. Warum nicht mit einem Fitnesscenter?

Was hab ich, das du nicht hast?

Kürzlich besuchte ich eine Gemeinde, die in den letzten Jahren unterm Strich eine sehr positive Entwicklung hingelegt hat. Ihre angemieteten Räume befinden sich in einem Gewerbeareal. Da sie für die 130-150 Gottesdienstbesucher allerdings zu klein geworden waren, trifft sich die Freikirche sonntags seit längerem in einer anderen Location.

Nun war ihr auf dem ursprünglichen Areal eine Halle angeboten worden, die sie für ihre Gottesdienste und Gemeindeprogramme mieten kann. Was mich besonders daran fasziniert: Drumherum gibt es diverse Gewerbetreibende. Demnächst wird wohl noch eine Eventmanagementagentur einziehen, die von dort aus ihre Veranstaltungen organisiert. Bei mir läuten da die Kirchenglocken, denn hier schlummern interessante Synergieeffekte.

Meine Standardfrage: „Wie ist euer Umfeld, wer sind eure Nachbarn?“

Was mich am meisten geflasht hat: Während der gemeinschaftliche Parkplatz mit einer Kapazität von ca. 100 Fahrzeugen um 16:30 Uhr noch halbvoll war, änderte sich das in den nächsten zwei Stunden schlagartig. Der abendliche Hauptmagnet des Areals ist nämlich ein Fitnesscenter. Regelmäßig zieht es so viele Menschen an, dass der Parkplatz nach Feierabend rappelvoll ist.

Dies bestätigt mir mal wieder, wie wichtig das Umfeld einer Gemeinde ist. Es lohnt sich, herauszufinden, wo sich die Menschen ihres Ortes gerne aufhalten. Wo sich die modernen „Marktplätze“ befinden. Genau dort sollten Freikirchen mit ihren Angeboten zur Stelle sein. Menschen halten sich in ihrer Freizeit viel an sogenannten Third Spaces auf – also an Orten, die außerhalb vom Arbeitsplatz und dem Zuhause liegen: Coffee-Shops, Einkaufszentren oder Kinos, aber immer mehr auch in Fitnesscentern.

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Warum sich als Freikirche nicht gezielt daneben positionieren?

Und so das beste Angebot überhaupt unter die Menschen bringen. Gerade Kirchengemeinden können hier Menschen erreichen, die alleine oder auf der Suche nach dem Mehr-Wert des Lebens sind. Deshalb mein regelmäßiger Appell schon beim ersten Treffen mit der Leitung einer Gemeinde: Wir bauen für die Menschen da draußen. Was interessiert sie und welche Bedürfnisse haben sie?

Hier liegen ungeahnte Chancen, als Kirche – bleiben wir im Beispiel – Fitnesscenter-Besuchern genau das zu geben, was sie jenseits des Muskelaufbaus suchen: geistlich-seelische Fitness. Es liegen garantiert zahllose Kooperation in der Luft, um den Menschen unserer Stadt zu dienen. Angefangen von Kinderbetreuung bis hin zu Begegnungsmöglichkeiten für Singles. Viel zu viele Menschen sind heutzutage alleine unterwegs auf der Suche nach Sinn, Beziehungen oder einem Zuhause.

Auch im reinen Gewerbegebiet kann man sozial andocken

Was, wenn eine Gemeinde dort angesiedelt ist, wo Menschen nur zum Arbeiten hinkommen? Auch hier sind Synergien möglich. Eine solche Gemeinde könnte den Firmen im Umfeld beispielsweise ihre Räume anbieten. Einfach mal anfragen, nur so kann man herausfinden, was sie brauchen. Auch der Umkehrschluss ist möglich. Immer wieder werde ich von Gemeinden nach Finanzierungsideen gefragt, weil bauliche Veränderungen häufig einen finanziellen Engpass bedeuten.

Fundraising: Warum in die Ferne schweifen?

Im direkten gewerblichen Umfeld sehe ich ein großes Potenzial für Fundraising. Entweder für den eigenen Bau oder auch für sinnvolle Projekte im sozialdiakonischen Bereich. Ich denke, man kann die eigene Nachbarschaft für ein finanzielles Engagement von Projekten, die beispielsweise Kinder und Jugendliche unterstützen, eher gewinnen, als irgendwelche Stiftungen. Oder als zigster Bittsteller bei christlichen Unternehmern. Eine Gemeinde punktet besonders dann, wenn sie ihre Vision mit Begeisterung vermitteln kann. Ganz nebenbei entstehen tragfähige Beziehung zu den Nachbarn.

Vertrauen wächst auch dann, wenn die Nachbarn keinen Cent spenden. Vielleicht wollen sie aber die Kirchenräume nutzen oder kommen auf die Idee, die Gemeinde mit etwas anderem zu unterstützen. Räumliche Veränderungen sind gute Gelegenheiten, um die gewerblichen Nachbarn und ihre Bedürfnisse kennenzulernen. Kontaktiert man sie nicht mit einem plumpen Spendenaufruf, sondern mit einer wertschätzenden Anfrage, reagieren sie meiner Erfahrung nach meist sehr offen. Einen Nachbarn an seiner Seite zu wissen, der einen guten Draht nach oben hat, spielt dabei vielleicht auch eine Rolle.