Was haben die Produktionshinterlassenschaften eines Eisenguss- und Lebensmittel-Werks mit einem neuen Gemeindezentrum zu tun? Eine ganze Menge. Kürzlich besuchte ich die Einweihungsfeier des Neubaus der Freien evangelischen Gemeinde Singen / Hohentwiel. Lange hatte sie nach einem geeigneten Grundstück gesucht. Ihr ursprüngliches Gemeindezentrum war in die Jahre gekommen, zu eng und mitten in einem Wohngebiet, sodass es immer mal wieder Probleme wegen Lärmbelästigung gab. Was tun?
Für die Gesellschaft da sein
In der Frage nach einem Grundstück nahm die Gemeindeleitung Kontakt mit der Stadtverwaltung auf. Und tatsächlich kam nach Prüfung von insgesamt 25 Objekten dann endlich die gute Nachricht: Ein Sportplatz sollte für Wohnbebauung umgewidmet werden. Und das beste: Der Bebauungsplan sollte eine Fläche für die FeG vorsehen. 4Wände entwickelte daraufhin ein Konzept, das auf den Herzschlag der Freikirche zugeschnitten war. Sie wollte noch stärker in die Gesellschaft hineinwirken und für die Menschen da sein. Dazu brauchte es ein einladendes, offenes Gebäude genauso wie gelebte Gastfreundschaft.
Manche Rückschläge machen nur noch stärker
Nachdem wir das Konzept der Stadtverwaltung vorgestellt hatten, gab es eine Abstimmung im Stadtrat. Zunächst zugunsten der FeG, doch wollte die Stadt später die Zusage wieder zurücknehmen. Aus politischen Erwägungen wollte sie den Sportplatz ganz für neuen Wohnraum vorsehen. Gottes Versorgung kam dafür auf anderem Wege.
Im Laufe der Monate war eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Oberbürgermeister und Pastor entstanden. Der Lokalpolitiker erkannte, dass der Neubau andere Vorteile für die Allgemeinheit brachte und legte sich für die Gemeinde so richtig ins Zeug, um eine alternative Lösung zu finden. Schließlich bot er ihr ein Grundstück an: eine Baulücke zwischen einer Schule und einer Sporthalle, direkt angrenzend an ein großes Sportgelände. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite gab es ein großes Wohngebiet mit mehrgeschossigen Gebäuden und ein Seniorenwohnheim. Zu schön, um wahr zu sein?
Der Haken an diesem Grundstück: es war eine Altlastenfläche
Das Grundstück war deshalb noch frei, weil es sich um eine ehemalige Deponie handelte. Aufgrund der Industrieabfälle war die Bebauung in Bezug auf die Wiederöffnung einer sanierten Altlastenfläche (Entsorgungsfrage) als auch die Tragfähigkeit kritisch. Viele Jahre zuvor wurden hier überwiegend ungesunde Sände aus einem Eisengusswerk abgelagert. – Und wer will schon auf Sand bauen?
Die Lage allerdings war absolut genial. Mir kam das Bild einer Wüstenwanderung in den Sinn, die die Gemeinde auf der Suche nach ihrem Grundstück durchlebte. Schließlich war sie an diesem Ort, dieser Oase gelandet. Im übertragenen Sinne musste sie sich zwar erst die Wasser-Qualität durch mehrere Gutachten bestätigen lassen, vor allem aber war sie gut erreichbar. Und das ist entscheidend für den Standort einer Kirche. Wer nah bei den Menschen sein möchte, sollte sich möglichst nicht am Stadtrand oder im Industriegebiet ansiedeln.
Leute kamen in Scharen in die Gemeinde, auch aus der Nachbarschaft
Von diesem Gesichtspunkt her hat das neue Zuhause der FeG Singen viel Potenzial, weil es einfach mitten im Leben ist, zwischen Wohnbebauung, Sportanlagen und Schule. Hier kommen Schüler vorbei, Menschen auf dem Weg zum Training, genauso wie Senioren, die beim Spaziergang nur die Straße überqueren müssen. Ganz abgesehen von den vielen Menschen, die in den Wohnblocks zu Hause sind.
Was mich am meisten beeindruckt hat: Bei der Einweihungsfeier ist genau das passiert, was sich die Gemeinde immer erhofft hatte: Menschen im großen Stil zu erreichen. Schon im Vorfeld machten sie alles richtig, indem sie großzügig Gutscheine bei den Anwohnern für Kaffee, Mittagessen etc. verteilten. Gefeiert wurde dann drinnen und draußen mit über 500 Leuten. Das ganze Haus war voll, nicht nur der Saal, der für 270 Personen ausgelegt ist. Sie hatten auch noch das Foyer bestuhlt. Und draußen konnte man auf Bierbänken den strahlenden, herbstlichen Sonnenschein genießen, während die Brassband auf der Straße spielte.
Die Öffentlichkeit war vom ersten Spatenstich an mit dabei
Tatsächlich kamen auch zahlreiche Leute aus der Nachbarschaft, die ihre Gutscheine einlösten und sich aufrichtig für das neue Gemeindezentrum interessierten. Schon im Bauprozess bezog die FeG Singen Stadt und Anwohner mit ein. Sie feierte auf der Baustelle Gottesdienste und lud Nachbarn zum Richtfest ein. Sie informierte proaktiv und kündigte immer wieder an, dass hier etwas Besonderes am Entstehen war.
Außerdem vertrat sie in den Verhandlungen mit der Stadt auch engagiert die Interessen ihrer neuen Nachbarn. Sie verhandelte zum Beispiel, dass der durch ihren Neubau wegfallende Fußweg auf dem angrenzenden Schulgelände neu angelegt wurde. Und errang die Zusage der Kommune, dass für die bisher als lokaler Bolzplatz genutzte Grünfläche ein Ersatzspielfeld in der Nähe angelegt wird. Schon früh bereitete sie damit den Boden, um in der Nachbarschaft im doppelten Sinne gut anzukommen.
Auf Altlasten wächst Segen und neue Hoffnung
Zur Vision der Gemeinde gehört, den Bistro-Bereich als Café auch unter der Woche zu öffnen. Bald, so die Hoffnung, kann man dort regelmäßig Sportbegeisterte, Senioren und andere Anwohner begrüßen. Wobei das Angebot weit übers Kaffeetrinken hinausgehen soll. Offene Jugendräume und eine entsprechende Jugendarbeit sollen auch junge Leute aus der Nachbarschaft anziehen. Und ein positives Zeichen setzen, weil es in der Vergangenheit abends und am Wochenende auf diesem Gelände Vandalismus gab. Nun trägt die Hoffnung, eine andere Kultur zu prägen. Eine Kultur, in der Jugendliche sich auf konstruktive Weise austoben können.
Das alles hat mich beeindruckt. Bei meinem Grußwort auf der Einweihungsfeier konnte ich mir den Vergleich nicht verkneifen, dass auch Kirchengemeinden als Deponie fungieren. Als Orte, an denen man seine Altlasten loswerden und wo Gott neues darauf bauen kann. Ganz praktische Hilfe fürs Leben inklusive.