Gäste haben einen klaren Blick für die Räumlichkeiten, die sie betreten. Das gilt privat genauso wie in Kirchengemeinden. Was sehen sie, wenn sie zum ersten Mal in Ihre Räumlichkeiten kommen? Erlauben Sie mir, Ihren eigenen Blick dafür zu schärfen.
Wer wagt sich durchs schwarze Loch?
Einmal wollte ich eine Freikirche besuchen. Ich hätte sie fast nicht gefunden. Auch den Eingang nicht. Zuerst musste ich durch eine zwei mal zwei Meter große Einfahrt hindurch, um danach eine gefühlte Ewigkeit – dabei waren es nur wenige Meter – im Dunkeln zu tapsen. Gott sei Dank hat sich im Hinterhof bald ein altes, ehemaliges Bäckerhaus aus den Fünfzigerjahren aufgetan, das zum Gemeindezentrum umgebaut worden war. Es wurde Licht! Licht am Ende des Tunnels.
Nie hätte ich gedacht, dass man durch diese dunkle Gasse gehen muss, um zur Gemeinde zu gelangen. Vorne an der Fassade war zwar ein Schild. Dies half bei der Objektfindung aber auch nicht weiter, zumal ich keine Klingel fand. Die Durchfahrt des fünfgeschossigen Stadthauses führte am Eingang von privaten Wohnungen vorbei. Und mich an der Nase herum. Denn dort vermutete ich zunächst den Gemeindeeingang.
Verwirrt, noch bevor man das Seelenheil erlangt
Was das Seelenheil angeht, so hatte ich meine Schäfchen schon im Trockenen. Aber für einen Besucher können solche Hürden vor den eigentlichen Kirchenräumen das Aus bedeuten. Das Never-come-back! Und das ist schade. Denn die Menschen, die man in den Gemeinden antrifft, sind meist liebevoll und willkommen heißend. Sie gleichen wieder aus, was das Ambiente manchmal an Schaden anrichtet. Doch kommt der Fremde, der Gast, überhaupt so weit, dass er die Menschen kennen lernt?
Es hat nicht viel mit Finanzen zu tun, viel mehr mit Wahrnehmung
Eine kirchliche Versammlungsstätte kann auf Außenstehende gruselig wirken, wenn nicht zu erkennen ist, was hinter der Tür passiert. Das schürt Berührungsängste. Wer dann schließlich den Mut fasst, dort hineinzugehen und sich im vorigen Jahrhundert wiederfindet – mit dem macht das auch was. Hierbei verhält es sich genau wie in der eigenen Wohnung: Wenn man über Jahre hinweg irgendwo haust, kann man betriebsblind werden. Und davor rettet nicht der Geldbeutel, sondern der ungeschönte Blick, der gleichzeitig das Potenzial der Räumlichkeiten erkennt.
Potenzial erkennen – dafür bin ich vor Ort
Es passiert immer wieder: Ich komme zu einem Beratungsgespräch in kirchliche Versammlungsräume, in denen diese Gemeinde seit 10, 20 oder mehr Jahren lebt. Ich werde gerufen, weil es Raumnot und Sanierungsbedarf gibt. Vielleicht – im besten Falle – auch etwas Wachstum. Was finde ich dort vor?
Meist begrüßt mich zuerst die „enge Pforte“, die zwar biblisch ist, meiner Meinung nach als Kirchenentree aber ungeeignet. Danach führt mitunter eine steile Treppe zum Ort des eigentlichen Geschehens. Ich spüre das Flair eines in die Jahre gekommenen Gemeindezentrums, das den Mitgliedern längst zum Zuhause geworden ist. Immer wieder höre ich das leidenschaftliche Anliegen: Wir wollen Menschen erreichen, wollen einladen und sie zu Jesus führen! Neben dem Gottesdienst gibt es für diesen Zweck sogar Extra-Veranstaltungen.
Gemeindeberatung: Wo will eine Gemeinde hin und welches Gebäude braucht sie dafür?
Der kleine Schock, den ich oftmals beim Erstgespräch erlebe, ist gleichzeitig auch eine Bestätigung für mich. Ja, hier bin ich am richtigen Ort. Gemeinden brauchen meine Beratung, auch wenn sie manchmal Provokation bedeutet und unangenehm ist. Da passiert es schon mal, dass wir zunächst gar nicht über bauliche oder architektonische Themen sprechen, sondern an Fragen wie diesen hängen bleiben: Was ist die Vision und der Auftrag der Gemeinde? Wen will sie erreichen? Wem möchte sie dienen? Was ist das Besondere an der Gemeinde? Welche Gaben und Ressourcen sind vorhanden? Was ist der Kontext? Was brauchen der Ort und die Menschen im Umfeld?
Das Gesicht einer Gemeinde
Selbst ganz Lernender, bin ich immer wieder beschenkt durch die spannenden Entwicklungsprozesse, die dann in Gemeinden ablaufen. In den letzten Jahren ist auch mir erst richtig bewusst geworden, dass
– es „unwiderstehliche Räume“ braucht und ein Umfeld, in dem sich Menschen wohlfühlen
– auch ein Kirchengebäude ein Gesicht hat, nämlich das Gesicht der Gemeinde, mit dem sie in die Stadt schaut
– es einen weiten, offenen Raum für Begegnung und Ankommen braucht
– zumindest der erste Schritt in eine Kirchengemeinde hinein nicht durch eine „enge Pforte“ führen sollte.
Weil Gäste es verdient haben, dass wir uns auch räumlich für sie öffnen.